Leiseres Landen: DLR stellt erste Ergebnisse vor
|Ein Pilotenassistenzsystem für leisere Anflüge sowie ein Verfahren für flexiblere lärmentlastende Anflugrouten konnten in diesem Jahr erprobt werden.
Landeanflüge leiser gestalten, das ist die Motivation zweier gemeinsamer Forschungsvorhaben des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und des Umwelt- und Nachbarschaftshauses (UNH) in Kelsterbach, deren erste Ergebnisse heute auf der internationalen Konferenz für aktiven Schallschutz ICANA 2016 am Flughafen Frankfurt vorgestellt wurden. Ein Pilotenassistenzsystem für leisere Anflüge sowie ein Verfahren für flexiblere lärmentlastende Anflugrouten konnten in diesem Jahr erprobt werden. Beide Verfahren haben ihr Potential unter Beweis gestellt und werden zukünftig noch umfangreichere Tests durchlaufen. Die vorgestellten Arbeiten sind Teil zahlreicher Forschungsaktivitäten für leiseres Fliegen, die der Fachausschuss Fluglärm im DLR koordiniert.
Fahrwerk und Klappen lärmschonend einsetzen
Bei Flugversuchen vom 26. bis 28. September 2016 erfolgte ein Realitätstest des Piloten-Assistenzsystems LNAS (Low Noise Augmentation System) während des alltäglichen Hochbetriebs am Frankfurter Flughafen. Das vom DLR-Institut für Flugsystemtechnik entwickelte System für lärmoptimierte Anflüge erprobten die Wissenschaftler an Bord des Forschungsflugzeugs A320 ATRA in fünf Versuchsreihen mit insgesamt 74 Anflügen auf Frankfurt, unterstützt von der Deutsche Flugsicherung GmbH (DFS). Am Steuer saßen Linienpiloten von vier Fluggesellschaften, die ihre Anflüge zum Vergleich mit und ohne Unterstützungssystem absolvierten.
„Bereits jetzt zeigt sich, dass das Prinzip Lärmminderung durch präzisere Handlungsabläufe beim Einsatz von Klappen und Fahrwerk während der Anflüge funktioniert“, sagt der Leiter der Abteilung Flugdynamik und Simulation des DLR-Instituts für Flugsystemtechnik Prof. Klaus-Uwe Hahn bei seinem Vortrag auf der ICANA-Konferenz.
„Die Rückmeldungen der Piloten, die das System geflogen sind, waren durchweg positiv. Sie beurteilten das Assistenzsystem als äußerst hilfreich, insbesondere in schwierigen Situationen, wie beispielsweise bei starkem Rückenwind oder hohen Geschwindigkeitsvorgaben durch die Luftverkehrskontrolle.“ Selbst unter den schwierigen Bedingungen im Volllastbetrieb am Flughafen Frankfurt werden die Anflüge um bis zu über ein Dezibel im Maximalpegel leiser.
Für detailliertere quantitative Aussagen zur Lärmminderung mit Hilfe des neuen Systems analysieren DLR-Forscher intensiv die gemessenen Lärm- und Cockpitdaten. Einzelne Flugzustände, beispielsweise das Maß der ausgefahrenen Landeklappen, müssen dabei exakt den Lärmwerten am Boden zugeordnet werden. Zudem führt das DLR Nachsimulationen durch, um die Lärmsituation unterhalb der Anflugbahnen vollständig zu erfassen. Diese Arbeiten sollen bis zum Ende des ersten Quartals 2017 abgeschlossen sein.
Lärmminderung durch treibstoffsparenden Leerlauf
Für Piloten ist es oft schwierig während der arbeitsintensiven Landung, die Zeitpunkte zum Ausfahren der Klappen und des Fahrwerks so optimal zu wählen, dass ein Teil der Landephase komplett im besonders leisen und treibstoffsparenden Leerlauf stattfinden kann. Hier setzt das Assistenzsystem LNAS an. Es zeigt den Piloten über ein Display im Cockpit exakt zu welchem Zeitpunkt sie welche Handlung durchführen müssen. „Diese optimierten Abläufe im Cockpit bringen neben der Lärmoptimierung auch Treibstoffeinsparungen“, erklärt Hahn. „Je Landeanflug sinkt der Kerosinverbrauch um zehn Prozent, gegenüber einem Anflug ohne System auf den letzten 25 Meilen.“ Als nächsten Schritt planen die DLR-Forscher bereits des Assistenzsystems im Alltagsbetrieb verschiedener Fluglinien zu erproben.
Siedlungsschwerpunkte häufiger umfliegen
Das zweite in Kooperation mit dem UNH laufende Forschungsprojekt zielt auf die Ausweitung lärmentlastender Anflugrouten. Bereits heute gibt es die Möglichkeit, den Flugverkehr in den verkehrsarmen Randzeiten um dicht besiedelte Siedlungsschwerpunkte herum zu lenken, wobei die Piloten erst vergleichsweise spät in den direkten Anflug auf die Landebahn einschwenken. Die Herausforderung besteht darin, diese flexible Routenführung auch in Hochverkehrszeiten anzuwenden, was bisher aufgrund internationaler Regularien noch nicht möglich ist.
Das DLR-Institut für Flugführung hat in mehrjähriger Forschungsarbeit ein Sicherheitskonzept entwickelt, das die lärmentlastende Routenführung basierend auf modernen Navigationstechnologien auch im unabhängigen Parallelbahnbetrieb erlaubt. Dieser ist entscheidend dafür, den Flugverkehr in Hochlastzeiten zu bewältigen. Wie gut sich dieses Verfahren am Flughafen Frankfurt anwenden lässt, haben die DLR-Forscher im September und Oktober 2016 im Air Traffic Management and Operations Simulator (ATMOS) in Braunschweig gemeinsam mit der Deutsche Flugsicherung GmbH (DFS) getestet.
„Generell zeigte sich bei den Echtzeitsimulationen des Frankfurter Flugverkehrs, dass unser Konzept für weniger Lärm über stark besiedelten Gebieten für die Lotsen handhabbar ist“, sagt der Leiter der Abteilung Pilotenassistenz im DLR-Institut für Flugführung Dr. Bernd Korn bei seinem Vortrag auf der ICANA-Konferenz. „Je geringer der Anteil der Luftfahrzeuge wird, die ohne moderne Navigationstechnologien einen klassischen geraden Anflug benötigen, desto weniger Aufwand haben die Lotsen bei gleichzeitiger Nutzung der gekrümmten Anflüge.“
Aber auch eine gleichmäßige Verteilung des Flugverkehrs zu jeweils 50 Prozent auf eine gerade und eine gekrümmte Streckenführungen ist mit einer akzeptablen Arbeitsbelastung verbunden und für die Lotsen mit stetig hohem Situationsbewusstsein kontrollierbar.
Einen internationalen Standard etablieren
Aufbauend auf den Ergebnissen dieser ersten Reihe von Echtzeitsimulationen werden weitere Forschungsarbeiten in den kommenden zwei Jahren folgen. Anschließend ist geplant, das Konzept der unabhängig segmentierten Parallelanflugverfahren gemeinsam mit Boeing bei der international zuständigen Luftfahrtbehörde ICAO (International Civil Aviation Organization) vorzustellen und es als akzeptierten Standard aufnehmen zu lassen.
Umfangreiche Forschungsaktivitäten
Beide vom Umwelt- und Nachbarschaftshaus mit insgesamt 950.000 Euro für ein bzw. drei Jahre geförderten Projekte reihen sich in die umfangreichen Forschungsaktivitäten des DLR zur Minderung des Fluglärms ein. Dabei untersucht das DLR nicht nur, welche technischen Möglichkeiten zur Lärmminderung vorhanden sind, etwa wie ein massiv auf Lärmminderung getrimmtes Fluggerät aussehen würde oder welche Lärmminderungsmöglichkeiten optimierte Flugverfahren bieten. Vielmehr setzen sich die Wissenschaftler des DLR auch mit der grundlegenden Frage auseinander, wie der Fluglärm auf den Menschen als Individuum aber auch auf die Gesellschaft als sozio-ökonomisches System wirkt. Nur auf dieser Grundlage können Maßnahmen des aktiven Schallschutzes sinnvoll ausgelegt und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit überwacht werden.
Derzeit nimmt sich das vom DLR finanzierte Projekt MIDAS (Maßnahmen und Instrumente des Aktiven Schallschutzes) dieser Aufgabe an. Die Forschungsarbeiten decken alle von der internationalen Luftfahrtbehörde ICAO benannten Facetten des Fluglärmmanagements ab. Zusätzlich ist eine Feldstudie zur Wirkung von Fluglärm auf Kinder Teil des Projekts. Die Auslegung von Lärmminderungsmaßnahmen wird bei MIDAS durch verbesserte Rechenmodelle unterstützt und deren Wirksamkeit durch speziell entwickelte Konzepte umfangreich kontrolliert. Im Zeitraum 2015 bis 2018 setzt MIDAS eine Reihe von interdisziplinär orientierten DLR-Projekten der Fluglärmforschung konsequent fort, die 1999 mit dem Projekt „Leiser Flugverkehr“ begannen.
„Die Vielfalt der DLR-Institute ermöglicht es uns, das Forschungsthema Fluglärm über die Breite der zahlreichen Detailfragestellungen wissenschaftlich übergreifend zu bearbeiten“, sagt Dr. Ullrich Isermann, der den Fachausschuss Fluglärm im DLR leitet. Der Fachausschuss koordiniert im DLR die wissenschaftlichen Arbeiten im Bereich Fluglärm und ist mit Experten der einzelnen Kernforschungsthemen besetzt. „Unsere Forschung wird sich weiterhin auf die interdisziplinäre Behandlung des Fluglärmproblems konzentrieren, was wir durch die detaillierte Bearbeitung relevanter Problemstellungen ergänzen“, so Isermann auf der ICANA-Konferenz. „Wichtig ist aber vor allem, sich nicht am Status Quo zu orientieren – Fluglärmforschung muss zukunftsorientiert ausgerichtet bleiben.“
DLR
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